Die Wahlen sind passé. Die SPD ist die stärkste Partei im Stadtrat, hat aber dennoch Stimmenverluste hinnehmen müssen. Scrab, die Jugendseite der Landeszeitung Lüneburg, hat mit Hiltrud Lotze, der Vorsitzenden der SPD in der Hansestadt, gesprochen. Was ihre Partei zur Förderung von Jugendlichen machen will, und welche Ziele sie hat, erzählt sie im Interview mit der Jugendredaktion.

Scrab: „Wir sind eine Jugendredaktion. Also wollen wir natürlich zunächst wissen: Wie fördert Ihre Partei hier in Lüneburg die Jugendlichen?“

Hiltrud Lotze: „Wir haben unsere Jugendorganisation, die Jusos, mit denen wir gemeinsam daran arbeiten, Themen und Wege zu finden, um die Jugendlichen für politisches Engagement zu gewinnen. Denn junge Menschen sind ja nicht politikverdrossen, sondern interessieren sich mehr für die Themen und Fragen, die ihrem jugendlichen Lebensgefühl entsprechen – und nicht zuerst um Themen wie z.B. die Straßenausbaubeitragssatzung, um die sich eine Volkspartei halt auch kümmern muss. Die Jugendlichen zu erreichen ist eine besondere Herausforderung. Ein Beispiel für unsere Jugendförderung ist unser Projekt „10 unter 20“. Hier gewinnen Jugendliche unter 20 Jahren hautnah Einblicke in die politische Arbeit in der Partei, im Kreistag, Stadtrat oder Landtag, – und können sich danach leichter entscheiden, ob sie weiter politisch aktiv sein wollen oder nicht.“

Scrab: „Wie motivieren Sie insbesondere Erstwähler, sich auch nach der Wahl noch für Politik zu interessieren und zu engagieren?“

Hiltrud Lotze: „Die Werte und Ziele der Sozialdemokratie Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit, Frieden, Nachhaltigkeit sind topaktuell und brennen ganz sicher vielen jungen Leuten auf den Nägeln. Es gelingt der Volkspartei SPD aber nur bedingt, die Themen auch jugendgerecht rüberzubringen. Was erwarten junge Frauen und Männer von einer Partei wie der SPD? Das müssen wir herausfinden. Das Phänomen der Piratenpartei zeigt, dass unsere bewährten Instrumente nicht mehr ausreichen. Wir müssen uns weiter Richtung Jugendliche öffnen und uns noch stärker da bewegen, wo die jungen Leute sind – im Netz. Das Netz ist mittlerweile für die junge Generation ein fester Bestandteil des Zusammenlebens. Nahezu jeder junge Mensch hat ein Profil bei Facebook oder StudiVZ. Über Flickr und YouTube werden Fotos und Videos angeschaut und bei last.fm läuft die neueste Musik. Was hat Politik damit zu tun? Das Internet ist ein Ort der Ideen und des Austauschs. Gerade über die sozialen Netzwerke können wir Interessierte und Unterstützer erreichen. Da haben wir eindeutig Nachholbedarf.

Scrab: „Wie kommt es, dass die SPD mit insgesamt 14 von 42 Sitzen im Stadtrat zwar am stärksten ist, die Grünen, als eigentlich kleine Partei, aber nur zwei Sitze weniger haben?“

Hiltrud Lotze: Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass die Grünen mittlerweile von einer breiten bürgerlichen Schicht gewählt werden, offensichtlich weil sie das Lebensgefühl, die Überzeugungen dieser Menschen ansprechen. Sie leben bewusst und können es sich leisten, ökologisch und nachhaltig zu denken. Das geht vom Einkaufen von fair gehandelten Lebensmitteln über den Bezug von Ökostrom bis zur umweltbewussten Fernreise. Auch die Nachwirkungen von Fukushima spielen hier sicherlich eine große Rolle. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Grünen die ökologische Partei. Obwohl die SPD bereits zu Willy Brandts Zeiten – da gab es die Grünen noch gar nicht – Umweltthemen in die Politik einführte, sie den Atomausstieg verantwortete und herbeiführte und sehr gute Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung hat, wird die ökologische Kompetenz heute eher den Grünen als der SPD zugeschrieben.“

Scrab: „Frau Lotze, Sie haben damit geworben, das politische Handeln transparenter für die Bürger zu machen. Wie setzten Sie dieses Vorhaben um?“

Hiltrud Lotze: „Wir haben immer schon Themenveranstaltungen und öffentliche Fraktionssitzungen gemacht. Das wollen wir weiterhin tun und noch intensivieren. Aktuell führen wir eine Debatte über die Kulturpolitik in Lüneburg und laden die Bürger ein, uns ihre Standpunkte zur Nachbenutzung der alten Musikschule und dem neuen Projekt „Kulturbäckerei“ zu sagen. Hier wird auch über die Realitäten, insbesondere die Finanzierung von bestimmten Projekten, gesprochen. Wer Interesse hat, kann am 12. Oktober mitdiskutieren. Der Ort der Veranstaltung wird in Kürze noch auf unserer Homepage bekannt gegeben. Wir denken zur Zeit darüber nach, wie wir Bürgerinnen und Bürger und gerade auch die Jugendlichen stärker an den politischen Willensbildungsprozessen beteiligen können, und wir wollen auch das Netz stärker als bisher nutzen, um Meinungen auszutauschen.“

Scrab: „Welche Veränderungen sind wichtig für Lüneburg?“

Hiltrud Lotze: „Wir haben in unserem Wahlprogramm gesagt, die Region soll bis 2020 eine 100%-Erneuerbare-Energien-Region sein. Das ist ein Schwerpunkt. Ganz wichtig ist überdies die Bildungspolitik. Das ist eigentlich Landesaufgabe, aber wir müssen vor Ort viele Versäumnisse der Landesregierung ausbügeln. So wollen wir, dass alle Lüneburger Grundschulen zu Ganztagsschulen werden, um die Ausbildung der Kinder zu verbessern, aber auch, damit die Eltern Beruf und Familie besser unter einen Hut bekommen.“

Scrab: „Wie macht man G8 zum Erfolgssystem?“

Hiltrud Lotze: „Dazu müssen die Stundenpläne angepasst, also stark durchforstet und entrümpelt werden. Und die Schulen müssen ein gutes Lernumfeld anbieten, Mensen und Räume zum Entspannen. Sonst wäre das Schulleben wie ein achtstündiger Arbeitstag, was eine enorme Belastung für die Schüler wäre. Man kann nicht einfach G8 einführen und die Rahmenbedingungen unverändert lassen. Dazu gehört auch, dass die Lehrerausbildung verändert werden muss und alle Schulen nach dem skandinavischen Vorbild einen Sozialpädagogen bekommen.“

Scrab: „An der Wilhelm-Raabe-Schule gab es kürzlich eine Amoklaufdrohung. Unabhängig davon, ob sie ernsthaft war oder nicht, gibt das Anstoß zum Nachdenken: Was kann die Politik bzw. die Gesellschaft dagegen tun?“

Hiltrud Lotze: „Bei diesen Vorfällen waren die Täter oft Einzelgänger, die meist seelisch verletzt waren, durch Missachtung und eine fehlende Integration in die Gesellschaft. Hier ist es Aufgabe der Schule, die Schüler besser zu integrieren und respektvoll mit ihnen umzugehen. Lehrer müssen die Zeit haben, sich intensiv um die Schüler zu kümmern. Also brauchen wir mehr Lehrerstunden für diese Aufgaben, mehr Personal, vor allen Dingen Sozialpädagogen, an den Schulen. Außerdem hatten die Täter meistens in ihren Elternhäusern leichten Zugang zu Waffen. Ich finde: Waffen gehören nicht in Privathaushalte. Vor allem muss man aber dafür sorgen, dass sich alle Schüler in der Schule gut aufgehoben fühlen.“

Scrab: „Wir haben den Eindruck, dass es Schülern aus wohlhabenden Elternhäusern auch heute noch am Gymnasium besser geht und sie zumindest partiell bevorzugt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Wahl von Sportkursen, bei denen man für eine Woche wegfährt. Allerdings kann nicht jeder teilnehmen, da die Kurse viel Geld kosten. Diejenigen Schüler, die mitgefahren sind, hatten dann 13-15 Punkte. Wie kann die Politik hier mehr Gerechtigkeit schaffen?“

Hiltrud Lotze: „Ein wichtiges Ziel in der Bildungspolitik ist es, Gerechtigkeit zu schaffen. Dass es solche Veranstaltungen gibt, die sich ein Teil der Schüler nicht leisten kann und dass das dann auch noch in die Leistungen einfließt, geht gar nicht. Das Bildungssystem muss so sein, dass jede und jeder, egal aus welchem Elternhaus sie oder er kommt, die gleichen Chancen hat. Eine Schulkarriere darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Die Kinder von der Rechtsanwältin sind ja nicht automatisch klüger als die der Verkäuferin an der Supermarktkasse.“

Scrab: „Was ist das Wichtige an Kommunalwahlen?“

Hiltrud Lotze: „Hier werden die Entscheidungen getroffen, die das direkte Lebensumfeld betreffen. Das fängt bei den Krippenplätzen und Sportplätzen an und hört bei sicheren Schulwegen und Jugendtreffs noch lange nicht auf. Die Kommunalwahlen sind ein guter Anlass, sein demokratisches Bewusstsein und Wissen da zu stärken, wo man lebt. Schade finde ich, dass nur wenige die drei Wahlforen genutzt haben, die es dieses Mal gab. Warum zum Beispiel nutzen die Lehrkräfte nicht die Möglichkeit, mit ihrer Klasse zu solchen Veranstaltung zu gehen?“

Scrab: „Wie zufrieden sind Sie mit der Wahlbeteiligung?“

Hiltrud Lotze: „Gar nicht zufrieden! Sie lag bei nur rund 48 %. Wir entscheiden im Stadtrat über Dinge, die die Menschen direkt betreffen. Zwar hat man in einer Demokratie auch das Recht, nicht zu wählen, aber dann überlässt man die Entscheidung den anderen. Es ist schade, dass sich viele so uninteressiert zeigen. Aber gleichzeitig müssen sich alle Parteien auch fragen, wie sie die Menschen noch besser motivieren können, mit ihrer Stimme über die Zukunft der Stadt mitzuentscheiden.“

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