Zukunft der repräsentativen Demokratie
Prof. Dr. Dawid Friedrich, Mitglied im Zentrum für Demokratieforschung an der Leuphana Universität Lüneburg, referierte und diskutierte am Mittwoch, dem 11.3.2011, im Brau- und Tafelhaus Mälzer in Lüneburg, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Veranstaltung der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60 plus, über die Zukunft der repräsentativen Demokratie. Nach seiner Meinung befindet sich nicht nur Deutschland sondern auch viele andere Staaten, insbesondere in Europa, in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation. Das hat Auswirkungen auf das politische System, wobei noch niemand Lösungswege gefunden hat. Es wird experimentiert. Zurzeit können wir alle nur ausprobieren uns prüfen, wie es weitergehen könnte.
Schon im 19. Jahrhundert gab es vergleichbare Umbrüche. Er zitierte Vorbehalte und Bedenken gegen ein repräsentatives Parlament anstelle einer Demokratie durch Eliten in Großbritannien. Mit Zitaten von heute gegen die sogenannte „Parteien-Demokratie“ in Deutschland zeigte er, dass vieles vergleichbar ist. „Nur weil sich etwas ändert, muss man nicht per se um die Zukunft der repräsentativen Demokratie besorgt sein“, sagte er. Die Parteien müssten sich zwei Herausforderungen stellen. Die erste nannte er „Vielfalt“ und stellte die stark zunehmende Pluralisierung der Lebenswelten dar. Die Prägung der Stammwähler entlang grundlegender Konfliktlinien, wie z.B. Arbeit und Kapital, und die daraus resultierende Parteienbindung zerbröseln. Der dadurch notwendig werdende Anpassungsprozess, so Prof. Friedrich, fällt der SPD, als stark geprägte Programmpartei, anscheinend besonders schwer. Die zweite Herausforderung nannte er „Entfremdung“. Die Parteien-Demokratie ist an die Grenzen des Nationalstaates gebunden. Die Bedeutung des Nationalstaats zerfasere jedoch nach außen und nach innen. Nach Außen entstehen immer mehr internationale Akteure oder Arenen, in denen politische Entscheidungen fallen. Als Beispiel nannte er u.a. die OECD, Pisa oder Google. Nach innen gäbe es immer mehr Arbeits-, Projektgruppen oder Expertenkreise und Institute außerhalb des Parlaments. Häufig werden politische Fragen dort so stark vorbestimmt, dass die Parlamente an Ergebnissen nicht mehr vorbeigehen könnten. Er nannte dafür als herausragende Beispiele den Ethikrat oder die Schlichtung zu Stuttgart 21.
Er meinte, dass die Parteien, wenn sie ihre zentrale Rolle behalten wollen, sich diesen Veränderungen anpassen müssen. Das könnte zum Beispiel durch mehr Vielfalt im Inneren geschehen (mehr Frauen, mehr Migranten, stärkere Beteiligung unterschiedlicher sozialer Schichten). Er sei sich sicher, von den Bürgern werde mehr echte Interaktion verlangt und erwartet. Er verlangte, dass die Parteien mehr kontroverse Diskussionen innerhalb der Partei ausgehalten. Er habe positive Beispiele in Bürgerforen auf der europäischen Ebene erlebt.
Wie er die Manipulierbarkeit der Bürger durch die Medien einschätze, wurde Prof. Friedrich in der anschließenden Diskussion gefragt. Er wies diese Gefahren nicht ab. Wenn es eine klar definierte Rolle der Bürgerbeteiligung gäbe, führe das nicht zwangsläufig zu einer populistischen Politik. Im Übrigen, so mahnte er, sollten wir alle die öffentlich-rechtlichen Medien gut hegen und pflegen. Die Folgen der Auflösungserscheinungen bei den klassischen Interessenlagen wurden im Gespräch vertieft. Wahlentscheidungen nach aktuellen Stimmungslagen würden zunehmen, waren eine weitere Befürchtung, über die gesprochen wurde. Die Vermischung von Funktionen der Exekutive und Legislative von einer Politikebene zu anderen (Länder und Bundesrat, Bundesregierung und EU-Ministerrat) wurde kritisiert. Am Schluss dankte der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60 plus, Martin Pustowka, dem Referenten für einen sehr anregenden Vormittag. (Siegfried Kubiak)