Die Arbeitsgemeinschaft 60Plus in der SPD im Landkreis Lüneburg ist entsetzt über die derzeitigen Überlegungen im Gesundheitsministerium zu Veränderungen des Pflegegrades 1 in der Pflegeversicherung. „Als Zielgruppe mit Einsparpotential“ wurde wieder einmal mehr diejenige ausgewählt, die über die geringste Lobby verfügt: die Pflegebedürftigen. 

Seit Januar 2017 gibt es den neuen Begriff der Pflegebedürftigkeit: die Pflegegrade. Bis dahin wurden hauptsächlich körperliche Faktoren in die Beurteilung und Einstufung in eine Pflegestufe einbezogen. Psychische und physische Merkmale der Pflegebedürftigkeit sollten fortan gleichgesetzt werden. So wurden kleinere Beeinträchtigungen wie auch psychische oder kognitive Einschränkungen mit dem Pflegegrad klarer erfasst, etwa eine beginnende Demenz.

Dafür sieht der Pflegegrad 1 Hilfsleistungen im geringen Umfang von 131 Euro monatlich vor, um den Alltag zuhause zu unterstützen, sei es durch Einkäufe oder putzen. Zusätzlich kann einmalig eine Summe von bis zu 4.180 Euro für bauliche Umbauten beantragt werden, etwa barrierefreie Zugänge für Wohnung oder Bad. Ferner kann nach dem Sozialgesetzbuch XI u.a. eine Pflegeberatung, Beratung in der eigenen Häuslichkeit, eine Anschubfinanzierung von ambulant betreuten Wohngruppen bezuschusst werden. Dies sind Hilfsangebote, die das Ziel verfolgen, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit verbleiben können. Gerade dies ist das viel zitierte Ziel der Politik. Barrierefreies, altersgerechtes Wohnen wird seitens der Politik propagiert. Hierzu sind jedoch Umbauten in der Wohnung oder dem Haus erforderlich. Die Kosten dafür können insbesondere Bezieher niedriger Renten nicht aufbringen. Sie benötigen Unterstützung. 

Mit der angeschobenen Diskussion zur Streichung des Pflegegrades 1 sägt die Politik somit an dem Ast, auf dem sie sitzt. An dieser Stelle zu sparen, führt dazu, dass Menschen im Stadium der Erkenntnis über die beginnende und fortlaufende körperliche oder psychische Einschränkung sowie über die unzureichenden Gegebenheiten in der eigenen Häuslichkeit eher früher als später in eine stationäre Pflegeeinrichtung gehen werden. Denn sie haben weder finanzielle Unterstützung für Beratung noch für altersgerechte Umbauten im eigenen Haushalt. 

Diesen Menschen droht die Resignation, Vereinsamung und im schlimmsten Fall Verwahrlosung, wenn sich auch kein Angehöriger mehr um sie sorgen kann. Ferner sind die propagierten Zahlen zum „Einsparpotential“ reiner Populismus, mit dem Dramatik aufgebaut wird, ohne sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. So trifft das von dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung genannte Einsparvolumen von 1,8 Milliarden Euro auf erheblichen Widerspruch der Fachwelt. Diese Zahlen sind nichts als reine Suggestion, da diese Summe nur bei vollständiger Inanspruchnahme von allen Leistungsberechtigten in Betracht zu ziehen wäre. Dagegen stellten der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang, der GKV-Spitzenverband und der VdK Bayern kürzlich klar, dass nur 16,4 Prozent der Leistungsberechtigten etwa den Entlastungsbetrag tatsächlich bezogen. 

So beliefen sich die Ausgaben im vergangenen Jahr auf insgesamt 640 Millionen Euro, also auf rund ein Drittel (!) der genannten Einsparsumme. Als Gründe werden genannt fehlende Informationen der Leistungsberechtigten oder auch die mangelnde Verfügbarkeit solcher Dienstleistungen. Die AG 60Plus fordert die Bundesregierung auf, diese schändliche Diskussion auf dem Rücken einer der schwächsten Gruppe der Gesellschaft endlich zu beenden. Stattdessen sollte sie sich Gedanken darüber machen, wie barrierefreier alters- und behindertengerechter Wohnraum auch im Bestandsimmobilien geschaffen und die Einrichtung von Pflegewohngemeinschaften gefördert werden, wie Menschen mit beginnender Demenz weiter am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und wie pflegende Angehörige effektiv entlastet werden können. Zur Erinnerung: der aktuelle hiesige Pflegebericht des Landkreises zeigt, dass mehr als 82% der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt werden, und er nennt allein für die Hansestadt Lüneburg nur für das Jahr 2023 über 290 neu an Demenz erkrankte Menschen. Wie diese Menschen versorgt werden, bleibt im Bericht aber unbeantwortet. Dies ist dramatisch. 

Die AG 60 Plus unterstützt deshalb den erneuten Appell der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. (BAGSO) an die Politik, „eine stärker präventiv-rehabilitative Versorgungskultur zu etablieren, die Pflegebedürftigkeit nicht tatenlos abwartet und dann deren Folgen irgendwie finanzieren muss. Dadurch könnten auch die immensen Kosten hochgradiger Pflegeversorgungen, die meist stationär stattfinden, nachhaltig reduziert werden.“

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